Eine Bekannte erzählte mir kürzlich von einer handgeschriebenen Einkaufsliste ihrer Mutter. Ein unscheinbares Stück Papier – und doch konnte sie es kaum weglegen. „Es fühlte sich an, als müsste ich etwas bewahren, das längst vergangen ist“, sagte sie. Schließlich machte sie ein Foto der Liste und warf das Original ins Altpapier. „Meine Erinnerung hängt nicht an dieser Liste, sondern an meiner Mutter. Das Foto reicht mir. “
Wenn Sie gerade Ihr Elternhaus auflösen, kennen Sie diese Situation vielleicht: Was behalten, was weggeben? Fotos können helfen, Dinge loszulassen, die Sie nicht aufbewahren wollen oder können. Doch es geht um mehr.
Der Juni, der Monat der längsten Tage und des klaren Lichts, lädt dazu ein, genau hinzusehen. Martina Kaiser beschreibt im Kapitel „Juni“ ihres Buches Der Jahreskreis*, wie das Licht dieses Monats Klärungsprozesse unterstützen kann. Sie betont, wie wichtig es ist, „einen kritischen Blick auf Lebensumstände zu werfen, die dem Wachstum nicht mehr dienen – oder es behindern“.
Das Auflösen eines Elternhauses verlangt wie kaum etwas anderes, loszulassen und bewusst zu entscheiden.
Drei Fragen können Ihnen helfen, klug mit den Dingen umzugehen, ohne dabei Ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren:
1. Hat Ihre Entscheidung wohltuende Folgen für Sie?
Ein Erinnerungsstück kann ein Schatz sein – oder eine Last. Fragen Sie sich: Gibt mir dieser Gegenstand Kraft oder schöne Erinnerungen? Oder zieht er mich in unangenehme Geschichten oder alte Muster? Behalten Sie nur, was Sie stärkt und Freude weckt. Lassen Sie los, was Sie belastet oder im Alltag behindert.
2. Was sind die Tatsachen, auch wenn sie schmerzen?
Seien Sie ehrlich mit den Dingen und sich selbst: Was ist kaputt und unbrauchbar, auch wenn es früher Freude bereitet hat? Was will heute niemand mehr haben, selbst wenn es Ihren Eltern wichtig war? Pelzmäntel, Perserteppiche, Bücher oder Silberbesteck – vieles, was einst wertvoll war, nimmt nicht einmal mehr ein Sozialkaufhaus als Spende an. Oft bleibt dann nur der Entrümpler oder der Recyclinghof. Das ist bitter. Aber es hilft ja nichts: Sehen Sie genau hin und akzeptieren Sie diese Tatsachen, auch wenn es schwerfällt.
3. Wem wollen Sie mit Ihrer Entscheidung dienen, wem es im letzten Moment doch noch recht machen?
Zweifel beim Aussortieren sind normal. Doch die Frage, was Ihre Eltern gewollt hätten, hilft jetzt nicht weiter. Füllen Sie Ihre Garage nicht mit Dingen, nur weil Sie glauben, es wäre im Sinne von Vater oder Mutter. Wählen Sie Erinnerungsstücke, die Ihnen guttun. Weniger ist oft mehr – besonders, wenn es darum geht, die Erinnerung an Ihre Eltern auf eine für Sie stimmige Weise zu bewahren.
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Der Juni erleichtert Klarheit und Ehrlichkeit – auch sich selbst gegenüber. Mutige Entscheidungen bedeuten nicht, dass Sie die Vergangenheit leichtfertig abtun. Sie zeigen vielmehr, dass Sie Klarheit schaffen. Entscheidungen, die aus dieser Klarheit entstehen, tragen weiter als solche, die aus falsch verstandenem Pflichtgefühl getroffen werden. Vergessen Sie nicht: Sie müssen mit Ihren Entscheidungen leben.
PS: Mehr zu den fünf Entscheidungsoptionen, die Ihnen beim Auflösen Ihres Elternhauses zur Verfügung stehen, sowie deren Konsequenzen für Sie persönlich lesen Sie in meinem Ratgeber „Adieu Elternhaus. Elternhaus auflösen: Sortieren, wertschätzen, loslassen.“ Hamburg: Rowohlt-Verlag, 2023.
* Quelle
Martina Kaiser (10. Aufl. 2019): Der Jahreskreis. Den Rhythmus der Natur als unsere Kraftquelle nutzen. Aurum Verlag / Kamphausen Media, Bielefeld, Seite 96ff.
(2023 erschien eine komplett überarbeitete und erweiterte Auflage.)
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