Wenn Kunst „nach Hause“ kommt

Wie umgehen mit einer Sammlung von Werken eines besonderen, aber nicht unbedingt bekannten Künstlers? Dessen Bilder es sogar bis in die USA geschafft haben, von dem aber keiner weiß, wie viele Werke insgesamt er in seinem kurzen, nur 54 Jahre währenden Leben geschaffen hat?

Vor einigen Wochen berichtete ich in meinem Newsletter über die Bilder dieses Künstlers, die sein Neffe und Großneffe über Jahrzehnte aufbewahrt haben. Als der Großneffe im letzten Jahr starb, standen die Erbinnen vor jeder Menge Graphiken, Drucken und Gemälden. Bei diesen beiden Frauen handelt es sich um meine Cousinen. Ihr Vater war mein Patenonkel, der die Bilder seines Großonkels gesammelt hat.

Moritz Pretzsch wurde 1875 in Berlin geboren und erkrankte mit fünf Jahren an Kinderlähmung. Er saß Zeit seines Lebens im Rollstuhl und konnte nur noch den linken Arm bewegen. Trotzdem absolvierte er zu Beginn des letzten Jahrhunderts herum einen Fernlehrgang zum Druckgrafiker und Radierer und war anschließend bis zu seinem Tod im Altern von nur 54 Jahren künstlerisch tätig. Seine kleinformatigen Bilder und Exlibris zeigen oft Landschaften rund um den Neuruppiner See.

Bereits vor zehn Jahren hatte mein Patenonkel mit dem Museum Neuruppin vereinbart, dass die Bilder nach seinem Tod dorthin übergeben werden sollten. Ich gebe zu, dass mir das einen kleinen Stich versetzte, als er mir bei einem Besuch bei ihm von seiner Entscheidung berichtete. Schon als Kind hatte ich stundenlang bei meiner Großmutter fasziniert vor den Bildern meines Urgroßonkels gesessen und nun selbst gern die Bilder meines Patenonkels übernommen.

Ich gebe es zu: Nach dessen Tod im August letzten Jahres schoss mir daher für einen Moment die Möglichkeit durch den Kopf, die Verfügung meines Onkels zu ignorieren und meine Cousinen darum zu bitten, die Bilder selbst behalten zu dürfen. Aber für uns alle drei kam es nicht in Frage, uns über den Wunsch des Vaters bzw. des Onkels hinwegzusetzen.

So bot ich meinen Cousinen an, mich um die Bilder zu kümmern und sie dem Museum zu übergeben, fragte aber auch, ob ich sie zunächst für einige Zeit mit zu mir nach Hause dürfte. Nach knapp 600 km quer durch Deutschland konnte ich sie so in den folgenden sechs Monaten immer wieder in Ruhe betrachten und sie von einem Freund fotografieren lassen.

Schließlich war es dann soweit: Ich brachte die Bilder in ihr neues, aber irgendwie auch altes und vertrautes Zuhause in Neuruppin. Der Abschied von ihnen im dortigen Museum war bittersüß für mich. Als ich am nächsten Tag auf der Rückfahrt war, hatte ich noch immer einen Mix aus Zufriedenheit und Wehmut in mir, sodass mir immer mal wieder die Tränen kamen. Gleichzeitig spürte ich aber auch, wie stimmig sich die Übergabe an das Museum für mich anfühlte. Mit meiner eigenen kleinen Sammlung vor Augen freue ich mich seitdem, dass die anderen Bilder nun an einem Ort sind, wo viele Menschen sie schätzen werden. Und vielleicht wird meine eigene Sammlung eines Tages ebenfalls dorthin gelangen.

 

 Sie stehen vor einer ähnlichen Entscheidung? Dann können Ihnen folgende Anregungen weiterhelfen:

  1. Nehmen Sie sich Zeit. Gerade wenn viel Familiengeschichte mit einem Gegenstand oder einer Sammlung verbunden ist, kann es sinnvoll sein, die Dinge zunächst zwischenzulagern. Entscheiden Sie später in Ruhe darüber, wenn Sie alle anderen Arbeiten in Ihrem Elternhaus erledigt haben.
  2. Bewerten Sie den materiellen und emotionalen Wert. Prüfen Sie, was Ihnen wichtiger ist. Je nach persönlicher Situation kann es sich auch bei materiell wertvollen Dingen besser anfühlen, emotionalen Aspekten zu folgen. Ein Verkauf der Bilder hätte in unserem Fall durchaus (wenn auch nur kleinere) Einnahmen erbracht. Aber der mündlich geäußerte Wunsch zum weiteren Schicksal der Bilder hatte für meine Cousinen und mich unwidersprochen Priorität, auch ohne schriftliche Verfügung durch meinen Patenonkel.
  3. Informieren Sie sich, wenn möglich, über die Herkunft der Gegenstände. Das Verständnis für die Geschichte einer Sammlung kann bei Entscheidungen helfen. Hat Ihre Mutter die unzähligen Keramikobjekte nur deshalb aufgehoben, weil sie von deren ungeliebten Tante stammten, die darauf bestand, ihre Geschenke alljährlich gut sichtbar in Ihrem Elternhaus wiederzufinden? Nicht alles, was Sie in Ihrem Elternhaus vorfinden, hatte tatsächlich den positiven emotionalen Wert gehat, von dem Sie jetzt ausgehen.
  4. Unterscheiden Sie zwischen bewusst angelegten Sammlungen und zufällig entstandenen Ansammlungen. Nicht jede Gruppe von Dingen ist eine systematisch und mit viel Herzblut angelegte Sammlung. Oft haben sich viele Dinge mit den Jahren einfach zufällig angesammelt. Sich davon zu verabschieden fällt dennoch oft schwer, weil Sie selbst sie über Jahrzehnte in Ihrem Elternhaus vielleicht immer wieder vor Augen hatten. Nur allein deshalb unterstellen Sie ihnen daher unbewusst auch einen emotionalen Wert für ihre Eltern. Vielleicht aber würden Ihnen die beiden (wenn sie noch könnten) sogar aufmunternd auf die Schulter klopfen und die Erlaubnis geben, sich davon zu verabschieden, weil sie ihnen selbst gar nicht so viel bedeutet haben?!
  5. Wählen Sie den für Sie stimmigen Weg. Ihre Entscheidung muss vor allem für Sie selbst passen. Ob Spende an ein Museum oder Einzelverkäufe – entscheiden Sie, was für Sie passend ist. Beides kann die richtige Form von Abschied für Sie bedeuten.
  6. Lassen Sie sich nicht von Gier leiten. Sie wollen Dinge verkaufen, weil Sie glauben, auf das dadurch eingehende Geld angewiesen zu sein? Vorsicht: Der erzielte Verkaufserlös entspricht nur selten den eigenen Vorstellungen. Überlegen Sie, ob finanzielle Aspekte für Sie wirklich im Vordergrund stehen (müssen). Oft zählen emotionale Werte mehr und schenken auf Dauer größere Zufriedenheit mit den eigenen Entscheidungen – z. B., wenn Sie der Gedanke zufriedenmacht, das andere Menschen guterhaltene Dinge weiternutzen können, die Sie zuvor einem Sozialkaufhaus gespendet haben.

(c) Fotos der Werke von Moritz Pretzsch: privat

 

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